Während die Welt auf Washington schaut, gerät Deutschland still und leise in einen politischen Zusammenbruch.
Es handelt sich um eine sehr deutsche Krise, in der es auch um Koalitionsstreitigkeiten und komplizierte Verfassungsfragen geht.
Doch hinter all den komplexen politischen Machtkämpfen steckt Europas stärkste Volkswirtschaft orientierungslos da – zu einer Zeit, in der das Wirtschaftswachstum ins Stocken geraten ist und die EU-Staats- und Regierungschefs vor einer bevorstehenden Präsidentschaft Trumps nervös sind.
Bundeskanzler Olaf Scholz entließ am Mittwochabend Finanzminister Christian Lindner, den Vorsitzenden einer der drei Koalitionsparteien. Zwei von Lindners drei Kabinettskollegen traten umgehend zurück, was die Koalitionsregierung de facto auseinanderbrach.
Scholz führt nun bis zu Neuwahlen eine Minderheitsregierung, was bedeutet, dass die normalen Geschäfte weitergeführt werden können.
Da er jedoch im Parlament keine Mehrheit mehr hat, ist der Kanzler nun auf die Unterstützung der Opposition angewiesen, um alles Neue durchzusetzen – vor allem auch den Haushalt 2025, der nächste Woche verabschiedet werden soll.
Auch neue Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine oder eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben dürften ohne die Hilfe der Oppositionsparteien nur schwer zu vereinbaren sein.
Der sozialdemokratische Bundeskanzler forderte den konservativen Oppositionsführer Friedrich Merz auf, ihn bei der Durchsetzung wichtiger politischer Ziele zu unterstützen. Viele dieser Ziele werden auch von den Konservativen unterstützt, wie etwa eine stärkere Unterstützung der Ukraine.
Sie trafen sich am Donnerstag, wobei Scholz zu einer „konstruktiven Zusammenarbeit in den für unser Land entscheidenden Fragen“ aufrief.
Der Wahlsieg Donald Trumps wird vermutlich eine Kürzung der Finanzhilfen für die Ukraine bedeuten. Und da Deutschland nach den USA der zweitgrößte Finanzier Kiews ist, liegt die Verantwortung für eine Aufstockung seiner Hilfe womöglich bei Berlin.
Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock war gerade von einer Ukraine-Reise zurückgekehrt, als sie sagte, der Koalitionsbruch sei „kein guter Tag für Deutschland und kein guter Tag für Europa“.
Scholz will am 15. Januar eine Vertrauensabstimmung im Parlament durchführen lassen, die dann zu Neuwahlen im März führen würde, sechs Monate vor dem geplanten Termin.
Doch es scheint, als ob Merz, der als Vorsitzender der Christdemokraten Deutschlands nächster Bundeskanzler werden möchte, nicht mitspielt.
Er forderte eine sofortige Vertrauensabstimmung und Neuwahlen im Januar und sagte, dass innerhalb der EU eine Reihe von Entscheidungen getroffen werden müssten und dass dazu eine funktionierende deutsche Regierung erforderlich sei.
„Wir können es uns einfach nicht leisten, mehrere Monate lang eine Regierung ohne Mehrheit zu haben, und dann noch ein paar Monate Wahlkampf und möglicherweise noch ein paar Monate Koalitionsverhandlungen“, sagte er.
Auch andere Oppositionsparteien haben Neuwahlen gefordert.
Wenn dies geschieht, ist klar, dass die Wahlkampfsaison bereits begonnen hat.
Der deutsche Präsident forderte, dass “Vernunft und Verantwortung” die Oberhand gewinnen sollten. Doch der Zusammenbruch der Koalition hatte sich bereits Monate zuvor angebahnt. Und es ging nur um Geld.
Diese unbequeme Dreierkoalition wurde durch zwei sehr unterschiedliche Visionen darüber, wie die schwächelnde deutsche Wirtschaft angekurbelt werden könnte, auseinandergerissen.
Die Mitte-links-Partei Sozialdemokraten und die Grünen von Olaf Scholz wollen mit Schulden die Infrastruktur modernisieren, auf Umweltenergie umsteigen und der Industrie sowie der Ukraine helfen.
Doch Christian Lindners marktliberale FDP lehnt neue Schulden aus ideologischen Gründen ab. Stattdessen fordert sie Steuersenkungen, Kürzungen der Sozialausgaben und eine Zurückdrängung der Umweltziele.
Zum entscheidenden Punkt kam es in den Krisengesprächen dieser Woche, als klar wurde, dass beide Seiten unversöhnlich waren.
Nach dem Scheitern der Gespräche am Mittwochabend griff die Bundeskanzlerin ihren Finanzminister scharf an und bezeichnete ihn aufgrund seiner mangelnden Kompromissbereitschaft zum Wohle des Landes als egoistisch und verantwortungslos.
„Er hat mein Vertrauen zu oft missbraucht“, sagte die Kanzlerin und warf Lindner vor, das kurzfristige Überleben seiner Partei über das Wohl des Landes zu stellen.
Eine solche öffentliche Wut einer Bundeskanzlerin über einen Minister und Koalitionspartner ist in der deutschen Politik beispiellos. Wenn dies die im Fernsehen übertragene öffentliche Erklärung war, kann man sich nur vorstellen, wie die Stimmung hinter verschlossenen Türen war.
Vor der US-Wahl argumentierten Scholz-Verbündete, jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt für vorgezogene Wahlen und politische Instabilität in Deutschland.
Doch im vergangenen Jahr eskalierten die Streitigkeiten innerhalb der Koalition regelmäßig über die Höhe der Staatsausgaben. Und für die Wähler ist das Gezänk unerträglich geworden, was zu einem Einbruch der Umfragewerte aller drei Parteien führte.
Manche argumentieren, dass ein weiteres Jahr des Weitermachens einer dysfunktionalen Regierung zu mehr Instabilität und Stillstand geführt hätte.
Zudem gibt es Befürchtungen, dass die wahrgenommene Regierungsunfähigkeit der etablierten Parteien der rechtsextremen AfD und der neuen populistischen, linksextremen BSW-Partei in die Hände spielt.
Obwohl die konservativen Christdemokraten und ihre Verbündeten in den Umfragen deutlich vorn liegen, landet die AfD regelmäßig auf dem zweiten Platz.
Die Aussicht auf eine Trump-Präsidentschaft hat in Berlin die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Trump könnte der deutschen Wirtschaft durch Zölle schaden und die nationale Sicherheit durch einen Rückgang der Unterstützung für die Ukraine untergraben.
Viele sind inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass Deutschland heute mehr denn je eine geeinte und handlungsfähige Regierung braucht.