Offenbar hat der US-Präsident dem Ukrainer Selenskyj einige der Raketen mit bis zu 300 Kilometer Reichweite zugesagt. Das erhöht den Druck auf Berlin – aber bei den Taurus stellen sich andere Fragen.
Die Ukraine kann mit amerikanischen ATACMS-Kurzstreckenraketen rechnen. Der Sender NBC berichtet, dass Präsident Joe Biden das dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei dessen Besuch im Weißen Haus zugesagt habe. Es gehe zunächst um eine „kleine Zahl“ von Raketen.
Der Sender beruft sich auf drei Mitarbeiter der US-Regierung sowie auf einen Mitarbeiter des Kongresses. Es sei weder klar, wann die Raketen geliefert werden, noch stehe fest, wann die Lieferung öffentlich gemacht werde. Das amerikanische Verteidigungsministerium hatte nach dem Besuch von Selenskyj am Donnerstag bereits militärische Güter aufgelistet, die es der Ukraine im Rahmen eines neuen, 325 Millionen Dollar schweren Hilfspakets liefern wolle; ATACMS-Raketen waren darin nicht enthalten.
Eskalation des Krieges?
Die Vereinigten Staaten hatten sich die Zusage schwer gemacht, weil die Reichweite von knapp 300 Kilometern den Ukrainern den Beschuss von Zielen in Russland ermöglichen würde, was eine Eskalation des Krieges zur Folge haben könnte. Das gälte auch für deutsche Taurus-Marschflugkörper, die eine noch höhere Reichweite von etwa 500 Kilometern haben.
Es gibt allerdings erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Waffensystemen: Die Taurus-Marschflugkörper werden von Kampfflugzeugen gestartet; sie verfügen über zwei Sprengladungen und werden per GPS ins Ziel gesteuert. Die ATACMS (Army Tactical Missile System) sind dagegen ballistische Boden-Boden-Raketen. Briten und Franzosen haben der Ukraine bereits Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow beziehungsweise Scalp geliefert. Sie haben eine Reichweite von gut 250 Kilometern und werden wie die Taurus von Kampfflugzeugen gestartet. Kiew setzt die Waffen gegen russische Munitionsdepots oder Kommandostände weit hinter der Front ein, aber auch gegen Russlands Schwarzmeerflotte.
In der Bundesregierung wurde zuletzt der Eindruck zurückgewiesen, eine Taurus-Zusage hänge vornehmlich von einer Lieferung amerikanischer ATACMS ab. So war es zwar in der Frage von Kampfpanzern: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rang sich zur Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern erst durch, nachdem Biden zugesagt hatte, auch amerikanische Abrams-Kampfpanzer zu liefern; die ersten sollen die Ukraine bald erreichen.
Für die Bundesregierung liegt das entscheidende Problem einer möglichen Taurus-Lieferung aber vielmehr darin, dass Deutschland wohl auch Geodaten liefern müsste: zum einen Zieldaten, zum anderen Daten über die Flugbahn, da die tieffliegenden Marschflugkörper Gebäuden ausweichen müssten. Es stelle sich somit die Frage, ob dafür ein Bundestagsmandat notwendig sein könnte.
ATACMS mit Streumunition?
Sofern Washington die geplante ATACMS-Lieferung öffentlich bestätigt, dürfte zwar der Druck auf Berlin steigen, durch Taurus-Lieferungen das ukrainische Arsenal ebenfalls zu verstärken und Angriffe auf russische Nachschubverbindungen etwa auf der Krim zu ermöglichen. Jedoch dürften die Erwartungen überzogen sein, dass Bidens Zusage an Selenskyj automatisch zu einer deutschen Taurus-Zusage führt.
Berichte der „Washington Post“ und der Agentur Reuters legen überdies nahe, dass die USA womöglich ATACMS-Varianten mit geringerer Reichweite liefern könnten. Anders als NBC berichteten die beiden Medien am Freitag zunächst zwar nicht von einer festen Zusage an Selenskyj. Es habe nach intensiven Gesprächen zwischen den Ministerien zuletzt aber der Vorschlag auf dem Tisch gelegen, der Ukraine nicht ATACMS-Raketen mit klassischem Sprengkopf zu liefern, sondern solche, die mit Streumunition beladen sind.
Demnach haben die Amerikaner von dieser Variante deutlich mehr, setzen sie aber selbst nicht mehr ein. Im Juli hatten die Vereinigten Staaten entscheiden, der Ukraine Streumunition zu liefern. Die Reichweite der verfügbaren Raketen wurde in der „Washington Post“ mit 45 bis 190 Meilen (ungefähr 70 bis 300 Kilometer) angegeben.
Quelle : faz