Was einst als schönste Dorfkirche Ostpreußens galt, ist heute ein Stück Mittelalter in der russischen Exklave Kaliningrad: Im Gotteshaus der kleinen evangelischen Gemeinde von Gwardejskoje kommen nach langem Verfall nun auch die inneren Werte wieder zur Geltung.
Gwardejskoje ist ein Dorf zwischen Kaliningrad und der Grenze zu Polen. Seinen Namen erhielt der Ort mit seinen heute etwa 500 Einwohnern 1947, bis dahin hieß er Mühlhausen. An seine deutsche Vergangenheit erinnert die Dorfkirche, eine wahre Perle unter den Sakralbauten dieser Gegend. Einst galt sie als schönste Landkirche Ostpreußens und gehört heute zu den am besten erhaltenen Zeugnissen aus der Zeit des Deutschen Ordens im Gebiet Kaliningrad.
Erstmals erwähnt wurde die Mühlhausener Kirche im Jahr 1350. Damals begann der Deutsche Orden mit der Errichtung von Infrastruktur in seinen neuen Territorien. In ihrer heutigen Form existiert die Kirche seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. So alt ist auch ein Wandgemälde mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts.
Außergewöhnliche Deckenbemalung
Im gotischen Stil aus Feldsteinen und Ziegeln erbaut, zeichnet sich die Kirche äußerlich durch ihren 32 Meter hohen Turm aus. Innen ist es vor allem die Deckenbemalung zu biblischen Themen über dem Altar, die mit ihrer Schönheit beeindruckt. Sie geht auf den Königsberger Bildhauer Isaak Riga und den Maler Gottfried Hinz zurück. Restauratoren haben dieses Werk vom Ende des 17. Jahrhunderts in jüngerer Vergangenheit freigelegt und sorgfältig wiederhergestellt.
In der Kirche fand unter anderem Martin Luthers jüngste Tochter Margarete von Kunheim ihre letzte Ruhe. Das Grab soll jedoch während der Napoleonischen Kriege verloren gegangen sein, als französische Soldaten in dem Gotteshaus stationiert waren.
Landwirtschaftliche Nutzung zu Sowjetzeiten
Den Zweiten Weltkrieg überstand die Mühlhausener Kirche nahezu unbeschadet. Von den Jahren und Jahrzehnten danach lässt sich das nicht behaupten. Das ehemalige Ostpreußen war nun sowjetisch, die Kirche wurde zum Getreidespeicher umfunktioniert. In die Südmauer kam ein Tor, groß genug, dass die Einfahrt auch von Lkw passiert werden konnte.
Der Pfarrfriedhof ist nicht erhalten geblieben. Die Grabsteine wurden zerbrochen, die Gräber geplündert.
Nach Auflösung der Sowjetunion ging die stark verfallene Kirche an die neue evangelisch-lutherische Propstei Kaliningrad über. Zunächst herrschte die Meinung vor, dass von ihrem wertvollen Dekor nichts mehr vorhanden sei – bis die großartigen Gemälde entdeckt wurden. In den 1990er Jahren fand eine erste äußerliche Restaurierung durch russische Spezialisten statt, finanziert von deutscher Seite. Auch drei alte, zerbrochene Grabplatten wurden gefunden und wieder zusammengesetzt.
Kirchgemeinde hat 13 Mitglieder
1999 war es dann so weit: Der erste Gottesdienst konnte abgehalten werden. Die kleine Gemeinde speiste sich vor allem aus Russlanddeutschen, die sich in Gwardejskoje angesiedelt hatten. Heute zählt sie 13 Mitglieder. Doch nach wie vor werden Gottesdienste gefeiert. Die Kirchbänke bieten sogar gut 50 Personen Platz. Nur wer als Besucher außerhalb der Termine kommt, der sollte sich anmelden, damit ihm die Kirche aufgeschlossen wird.
Für die Ordnung sorgt generell die Gemeinde selbst, die in den letzten Jahren sogar versuchte, ein kleines Museum mit lokalen Artefakten in der Kirche einzurichten. Jedoch befürchten die Mitglieder, dass dieses einzigartige historische Bauwerk aus dem Mittelalter wieder dem Verfall preisgegeben sein könnte, wenn einmal von der Gemeinde niemand mehr übrig ist.
Quelle : Moskauer Deutsche Zeitung