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Trotz Drohnen–hype: Ukrainische Mörser Bleiben Putins Stärkster Gegner

In der Luft surren die Drohnen als Waffen der Zukunft, am Boden wummern Rohre, wie schon vor Hunderten von Jahren: Mörser sind weiterhin gefürchtet.

Kiew – Als die Ukraine ihre neue Waffe in die Truppe integriert hat, brütete Wladimir Putins Invasionsarmee schon über ihren Aufmarschplänen; aber das ukrainische Militär hatte noch keinen Schimmer davon, wie bald sie ihren neuen Mörser würde einsetzen müssen – und vor allem: gegen wen. Anfang Februar 2022 berichtete das Magazin Soldat & Technik, dass in der Ukraine eine modernisierte Version des noch aus der Sowjetunion stammenden 120-mm-Mörsers vom Typ 2B11 offiziell in Dienst gestellt würde. Das Modernisierungspaket unter der Bezeichnung MP-120 wurde von dem einheimischen Unternehmen Ukrainian Armor angeboten und ist jetzt im Ukraine-Krieg unschätzbar wertvoll.

Mörser als Waffen der Zukunft?

Auch diese althergebrachte Waffe hat im Kampf gegen Russland also wieder Konjunktur – erstmals eingesetzt wurde sie vermutlich Ende des 15. Jahrhunderts. Mörser sind Steilfeuerwaffen, ihre Geschosse fliegen also im hohen Bogen und regnen auf den Gegner herab; das haben sie mit den ungleich moderneren Drohnen gemein. Mörser sind den Kampfverbänden unterstellte Unterstützungswaffen – im Prinzip die Artillerie der Infanterie. Sie ergänzen das Feuer gegen Ziele, die von Flachfeuerwaffen nicht bekämpft werden können. Das Feuer der Artillerie ergänzen sie insbesondere mit Sprengsplitter-, Nebel- und Leuchtgranaten. Im Angriff wirken Mörser vornehmlich gegen schwere Waffen des Verteidigers, die sie niederhalten oder zerstören. In der Verteidigung wirken sie gegen Bereitstellungen und tote Räume im Vorfeld sowie gegen eingebrochenen Feind in Vorbereitung von Gegenoffensiven wie jetzt gerade in Awdiijwka.

Mörser genießen Priorität auch in der Militärhilfe durch die Bundesregierung an die Ukraine – und sogar auf dem eigenen Weg zu der von Verteidigungsminister Boris Pistorius geforderten „Kriegstüchtigkeit“: Laut einer firmeneigenen Pressmitteilung hat Rheinmetall Anfang November von der Bundesregierung den Auftrag erhalten, rund 100.000 Schuss 120mm-Mörsermunition an die Ukraine zu liefern. Dies ist Teil des jüngsten 400-Millionen-Euro-Unterstützungspakets für die ukrainischen Streitkräfte. Der Wert des Auftrags liegt im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich. Die Auslieferung soll kurzfristig beginnen und innerhalb der kommenden zwei Jahre erfolgen. Rheinmetall wird aber auch die Bundeswehr selbst nachrüsten.

Drohnen: bald überall zuhause – in der Luft, an Land und unter Wasser

Im Ukraine-Krieg ist allerdings noch beides gefragt: die Waffen der Vergangenheit sowie die der Zukunft: In der Gegenoffensive der Ukraine nehmen Drohnen schon eine entscheidende Rolle ein: Drohnen werden künftig nicht nur fliegen können oder schwimmen, sondern auch tauchen. Sie werden auf dem Wasser in Schwärmen auftreten und unter Wasser; und auch über oder unter dem Wasser autonom reagieren. Das prophezeit der deutsche Oberstleutnant Rüdiger Rauch, Drohnenabwehrexperte im Verteidigungsministerium, im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Ihm zufolge sind die Drohnen „gekommen, um zu bleiben“. Rauch: „Drohnen spielen im Ukraine-Krieg eine nicht zu unterschätzende, große Rolle – sie haben gezeigt, dass die ursprüngliche Annahme, dass Drohnen in kleinen, asymmetrischen Kriegen eine große Rolle spielen können, falsch ist; sondern dass sie auch tatsächlich in großen Konflikten eine große Rolle spielen“, sagt er.

Das Magazin Defense Express sieht dazu eine parallele Dimension: Unabhängig vom aktuellen Trend zu Hightech-Waffen besteht weiterhin hoher Bedarf, einfache und leichte Antipersonenoptionen zu entwickeln – also den Mörser; eine Waffe von einfacher Technik. Gerade der jetzt einbrechende Winter bringt Hightech beziehungsweise FPV-Drohnen an ihre Grenzen – „First-Person-View“-Drohnen übermitteln dem Piloten via Bordkamera ein Bild auf sein Handy oder Tablet, der Bediener am Boden sitzt sozusagen virtuell im Cockpit. Defense Express zitiert als Drohnen-Experten, Mykola Wolochow, den Kommandeur der Terra-Luftaufklärungseinheit der 3. Angriffsbrigade der Ukraine: „FPV-Drohnen sind ein äußerst effektives, aber situatives Werkzeug. Schließlich feuert der Mörser bei Schnee, Regen und Nebel. Natürlich nimmt die Präzision bei schlechten Wetterbedingungen ab, aber er feuert“, sagt Wolochow.

Mörser: Größter Freund und größter Feind der Infanterie

Ihm zufolge sind Mörser jeden Kalibers heute deshalb so wertvoll wie eh und je: „Wenn die Verteidigung beispielsweise ausschließlich auf dem Einsatz von FPV-Drohnen basiert, müssen die Besatzer nur auf einen ausreichend dichten Nebel warten, um die Verteidigungslinie mit gepanzerten Fahrzeugen zu zerstören.“ Mörser sind auch in modernen Armeen wieder stark im Kommen – in verschiedenen Kalibern und verschiedenen Varianten. Rheinmetall hat zusammen mit Norwegen einen 120mm-Mörser unter dem Namen Ragnarök („Weltuntergang“) entwickelt. Die Bundeswehr hatte Rheinmetall bereits 2021 mit der Modernisierung von Mörser-Waffenanlagen beauftragt. Im Zuge des Austausches des Bundeswehr-Transporters „Fuchs“ prüft die Bundesregierung parallel eine Ausrüstungsvariante als selbstfahrender Mörser mit dem 2006 entwickelten finnischen „Nemo“-System. Der Ragnarök-Mörser wird ebenalls auf einem Anhänger getestet.

Auch die Amerikaner pflegen diese Waffen weiterhin: „Die Infanterie mag Mörser wirklich, weil sie sich nicht mit anderen abstimmen müssen; sie müssen kein Flugkontrollzentrum anrufen. Sie müssen nicht die Feuerleitungszentrale der Artillerie anrufen; Sie können die Missionen einfach selbst starten“, sagte der pensionierte Marineoberst Mark Cancian, ein leitender Berater am Center for Strategic und International Studies –Thinktank in Washington, D.C gegenüber Task & Purpose. „Wenn sich die Dinge schnell bewegen und die Kommunikation zusammenbricht, ist das sehr wertvoll.“

Putins Krieg: nach wie vor ein Kampf Mann gegen Mann

Letztendlich ist die Wahl der Waffen auch eine Kostenfrage. In diesem Winter werden beide Gegner ihre Drohnen auf Widerstandsfähigkeit testen müssen. Gleichzeitig ist der Bedarf an FPV-Drohnen für die Streitkräfte der Ukraine enorm hoch. Die Mindestanzahl der für eine Brigade – ungefähr 1.500 Soldaten – erforderlichen Drohnen beträgt 1.000 Einheiten, während die Einsatztrupps zehn bis 15 FPV-Drohnen pro Einsatztag nutzen können, rechnet Defense Express vor. Ohnehin schickt sich die Ukraine an, weltweit führender Hersteller von Drohnen zu werden, sogar eine „Drohnenarmee“ aufzustellen, wie der stellvertretende ukrainische Ministerpräsident Mykhailo Fedorow angekündigt hat. Er zeichnet auch für die digitale Transformation verantwortlich.

Aber auch im digitalen Zeitalter wird der Nahkampf Teil von Kriegen bleiben. „Der nächste Krieg wird lediglich im Cyber-Raum geschlagen“, sagte Sönke Neitzel Mitte dieses Jahres. Deutschlands bekanntester Militärhistoriker nannte diesen Satz als die beherrschende These vorheriger sicherheitspolitischer Konferenzen mit dem Abstand inzwischen gewachsener Erkenntnis; also mit dem inzwischen besseren Wissen, dass eine Katastrophe wie die in der Ukraine eben früher gekommen ist als befürchtet, und tatsächlich wie eh und je am Boden und vorrangig Mann gegen Mann geführt wird. Beziehungsweise in der Luft, denn genau so wie der Panzer hat auch die Artillerie ihre Hauptrolle in Russlands Krieg wiedergefunden. Oder wie das deutsche Reservistenmagazin loyal schreibt: „So ist die Artillerie zurück als Königin der Schlachten. Eine Rolle, die sie in Europa seit den Feldzügen Napoleons innehatte, bis zum Ende des Kalten Krieges.“

.Und da bleibt für die Bodentruppen der Mörser das Mittel der Wahl, wie Task & Purpose berichtet: „Mörser sind für die Männer und Frauen im Nahkampf heute wichtiger denn je“, sagt der pensionierte US-Generalmajor Patrick Donahoe . „Da die Reichweite unserer Artilleriesysteme zunimmt und das Schlachtfeld tiefer wird, wird das Panzerinfanterie-Team auf der letzten Meile des Kampfes und auf den letzten 100 Metern mehr und nicht weniger auf Mörser als indirekte Feuerunterstützung angewiesen sein.“

Quelle : FR

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