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„Wir Müssen Den Feind Erledigen“: Wie Das Russische Internet Über Den Krieg in Der Ukraine Spricht

In Deutschland bekommt man kaum mit, wie die breite russische Bevölkerung über den Angriffskrieg in der Ukraine redet. Ein Blick in die Kommentare des russischen Internets zeigt, dass bei Weitem nicht jeder das Regime und den Krieg unterstützt.

Berlin. Der Blick in so manche Online-Kommentarspalte lässt viele Internetnutzer erschaudern: So viel Hass, so viel Häme. Und so wenig ernstgemeinte Debatte. Das gilt in Deutschland ebenso wie in Russland. Meinungsumfragen zeigen dort regelmäßig, dass eine große Zahl an Russen den Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt. Doch trotz des andauernden Kriegs und der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung finden sich im russischen Internet zwischen kriegsverherrlichenden Kommentaren durchaus auch kritische Stimmen. Der Versuch einer Bestandsaufnahme.

Genauso wie in Deutschland unterscheiden sich die Meinungen in den Kommentarspalten oft von Plattform zu Plattform. Die russische Opposition hat sich besonders auf Youtube einen Raum für Kritik am Regime geschaffen. Nicht ohne Grund versucht die russische Regierung deshalb seit Beginn des Angriffskrieges, die Videoplattform zu blockieren.

Russischer Journalist Jurij Dud von Gericht schikaniert wegen Verbreitung von „LGBT-Propaganda“

Einer der populärsten russischen Youtuber ist der Journalist Jurij Dud mit 10,3 Millionen Abonnenten. Dud war in der Vergangenheit wiederholt Schikanen durch die russischen Gerichte ausgesetzt, die ihn unter anderem wegen Verbreitung angeblicher „LGBT-Propaganda“ abstraften. Dud verurteilte im Februar 2022 den Krieg in der Ukraine und zog im selben Jahr nach Barcelona um. In seinem Interviewformat versucht er jenen Menschen eine Plattform zu bieten, die vom Staatsfernsehen ignoriert werden. Dazu gehören neben Oppositionspolitikern wie Alexej Nawalny auch regierungskritische Rapper und Comedians. Er nutzt seine Interviews aber auch, um russischen Propagandisten und Befürwortern des Regimes kritische Fragen zu stellen.

In einem Video vom Oktober 2023 interviewt er etwa die Schlagersängerin Wika Tsyganova und ihren Mann Wadim, die sich beide öffentlichkeitswirksam als Unterstützer des russischen Angriffskrieges präsentieren. Sie sprechen dabei von einem „heiligen Krieg“, den Russland gegen die Ukraine führe und der schon bald das „letzte Gericht“ einleiten werde. Die „echten“ Russen würden dann mit Jesus in den Himmel ziehen. Das Video wurde 11 Millionen mal aufgerufen und ist im russischen Internet zu einem Meme geworden. Entsprechend hämisch drücken sich auch die Kommentatoren unter dem Video aus. Sich das Interview anzuschauen, fühle sich wie Folter an, schreiben einige. Eine Kommentatorin schreibt: „So einen Cringe habe ich noch nie erlebt. Man sollte Dud einen Doktortitel für dieses Interview geben.“

Duds Publikum setzt sich eher aus einer jüngeren und städtischen Mittelschicht zusammen. Ganz anders das Bild auf VKontakte, dem russischen Facebook-Pendant: Dort sind viele Nutzer eher älter. Auch der Ton ist ein anderer. So zum Beispiel im Nachrichtenfeed des russischen Staatssenders Erster Kanal. Hier findet der Krieg in der Ukraine jedenfalls kaum Erwähnung. Der Erste Kanal ist einer der populärsten Fernsehsender Russlands und strahlt neben Nachrichten und Unterhaltungsshows jene politischen Talkshows aus, in denen auch mal über einen möglichen Atombombenabwurf über Kiew oder Berlin diskutiert wird. Die Seite des Senders auf VKontakte zählt 2,1 Millionen Abonnenten. Statt echten Nachrichten über den Krieg gegen die Ukraine findet sich dort vor allem Werbung für die eigenen Quiz- und Musiksendungen. Hier und da wünscht die Seite ihren Abonnenten mit einem Katzenbild einen guten Morgen. Das kommt bei den Nutzern gut an. Unter den Tierposts finden sich mit Abstand die meisten Kommentare, viele antworten mit Bildern ihrer eigenen Haustiere. Die anderen Posts des Kanals werden dagegen kaum kommentiert.

Kommentare bei VKontakte schreiben von „hurrah-patriotischem Unsinn“

Ein Post des Ersten Kanals bewirbt die russische Quizshow „Ja lublju moju stranu“, zu Deutsch: „ich liebe mein Land“. In der Show geht es darum, Fragen über Russland zu beantworten. Die reichen thematisch von Fragen zu russischen Speisen über Geografie und Geschichte. Es gibt ein rotes und ein blaues Team, das Publikum ist in zwei Blöcke unterteilt und trägt die entsprechenden Farben. Dazu gehört auch, dass patriotische Lieder gesungen und Russlandfahnen geschwungen werden. Auch hier lassen sich durchaus kritische Stimmen finden. Jemand schreibt: „Die Show ist nicht schlecht, aber das ganze drumherum ist durchexerzierter, hurrah-patriotischer Unsinn.“ Die wahren Abgründe tun sich in den Gruppen auf VKontakte auf, die direkt Berichte von der Front posten. Wirkliche Diskussionen finden sich dort selten, stattdessen sind die Kommentarspalten voll von Lobpreisungen der russischen Armee – nicht selten gepostet von Accounts, die hundertfach mit denselben nationalistischen Inhalten kommentieren.

Besonders menschenverachtend sind die Kommentare in den vielen prorussischen Gruppen und Kanälen in der Messenger- und Social-Media-App Telegram. Einer dieser Kanäle heißt „Dva Majora“ (auf deutsch: Zwei Majore) und hat 474.000 Mitglieder. Dort werden Meldungen rund um den Krieg in der Ukraine postet – stets mit einem eindeutig prorussischen Spin. In einem Post wird berichtet, wie Selenskyj ein erneutes Minsk-Abkommen ablehnt. Die Telegramnutzer schreiben dazu: „Ich mache mir Sorgen, dass es zu einem Minsk-3-Abkommen kommt. Wir müssen den Feind erledigen.“ Oder: „Ich würde alle erschießen, die ein Minsk-Abkommen wollen. Keine Verhandlungen, nur die volle Kapitulation“. Ein Kommentator zieht historische Parallelen zum Zweiten Weltkrieg, eine Analogie, die in rechten russischen Kreisen häufiger gemacht wird: „Man muss den Feind besiegen, genauso wie das 1945 mit Berlin war. Wenn wir schon Parallelen zum Großen Vaterländischen Krieg ziehen, dürfen wir nicht die Ehre und die Heldentaten der Großväter schänden.“

Russland ist ein gespaltenes Land. Viele verurteilen den Krieg, vielen ist er egal und einigen geht Putin nicht weit genug. Trotz der Propaganda gibt es auch immer noch zahlreiche Stimmen, die den Krieg verurteilen und nicht alle Informationen glauben, die das Regime ihnen vorsetzt. Der Blick ins russische Internet zeigt zumindest, dass auch in einer Diktatur noch normale Menschen leben.

Quelle : RND

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