Die junge Bevölkerung ist wenig begeistert, doch angesichts des Kriegs in der Ukraine will Lettland die Wehrpflicht wieder einführen. Das Militär soll größer und schlagkräftiger werden. Damit liegt das Land im Trend.
Skateboarder sind bekannt für ihren Freiheitsdrang. Und die jüngste Entscheidung Lettlands, die Wehrpflicht wiedereinzuführen, kommt bei den jungen Leuten am Skatepark im Zentrum von Riga nicht besonders gut an.
“Ich möchte mich lieber mit Skateboarden beschäftigen, ich will ein freier Mensch sein, und nicht schießen”, ruft ein 21-Jähriger, bevor er die Rampe herunterfährt.
Auch wenn der Skater wahrscheinlich noch nicht eingezogen wird – der Militärdienst wird in Lettland für alle 18- bis 27-jährigen Männer in Lettland bald wieder Pflicht. Frauen dürfen freiwillig teilnehmen. Das hat das Parlament des Landes am 5. April entschieden. Damit revidierte Lettland seine Entscheidung von 2007, als es die Wehrpflicht abgeschafft hatte.
Grund für die Wiedereinführung ist der russische Angriff auf die Ukraine. “Die Ukraine ist ein klares Beispiel dafür, wie wichtig eine moralisch belastbare und gut vorbereitete Zivilbevölkerung ist, um jeden Aggressor zurückzudrängen”, erklärte kürzlich die lettische Verteidigungsministerin Ināra Mūrniece.
Von 2024 an soll die Zahl der Wehrpflichtigen kontinuierlich erhöht werden. Geplant ist, ab 2028 jährlich 7500 Letten einzuberufen. Das soll dazu beitragen, das Heer von rund 22.000 Soldaten auf 50.000 Mann zu vergrößern, inklusive Territorialverteidigung und Reserve.
Das Baltikum setzt auf Wehrpflicht
Damit folgt Riga den anderen baltischen NATO-Mitgliedern, die sich von Russland bedroht fühlen. Litauen hat den Wehrdienst bereits vor Jahren wiedereingeführt. Estland hat ihn nie abgeschafft.
In Lettland gibt es für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aber auch Zustimmung. Der 18-jährige Chorsänger Ralf zum Beispiel findet die Entscheidung prinzipiell eine gute Idee. “Männer werden heutzutage immer schwächer, da kann Disziplin helfen”, meint er.
Mit einem Anzug über dem Arm geht er über den Skatepark von einer Chorprobe nach Hause. Was, wenn er einberufen wird? “Ich glaube, ich würde hingehen, um stärker zu werden und neue Leute kennenzulernen”, sagt er. Politik spiele für ihn keine große Rolle.
Bereitschaft ja, Berufssoldat nein
Die lettische Regierung hofft, junge Leute wie ihn in Zukunft von einer Karriere im Militär überzeugen zu können. “Eine Herausforderung”, räumt Toms Rostoks, Forschungsdirektor an der Nationalen Verteidigungsakademie Lettlands ein. “Unsere Berufseinheiten haben Schwierigkeiten, Soldaten zu rekrutieren.”
Zwar hätten sich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vermehrt Menschen für die Territorialverteidigung gemeldet, sagt er. Diese verlange Bereitschaft, erlaube es aber den Kandidaten, nebenbei einem anderen Beruf nachzugehen.
Berufssoldaten wollen scheinbar weniger junge Männer werden. “Die Alternative zur Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre gewesen, die Gehälter für Berufssoldaten zu erhöhen”, so der Forschungsdirektor, “aber das wäre sehr teuer und unklar, ob es geholfen hätte”.
In Europa steigt die Zustimmung zur Wehrpflicht
Eine repräsentative Studie vom Mai 2022 ergab, dass 45 Prozent der Letten für die Wehrpflicht waren, während 42 Prozent dagegen waren, schrieb Maris Andzans, Professor an der Riga Stradins University, in einem Februar-Briefing für das in Washington ansässige Center for European Policy Analysis. Ihm zufolge war die Unterstützung bei jüngeren Befragten geringer, wobei nur 34 Prozent in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen die Idee unterstützten.
Auch in anderen Ländern wie Polen und Deutschland wird die Wiedereinführung der Wehrpflicht immer wieder diskutiert. In Polen wurde die Wehrpflicht 2010 ausgesetzt, in Deutschland 2011.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius gehört zu den Befürwortern einer Wiedereinführung – und ist damit nicht alleine. Nach einer Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos vom März diesen Jahres sprachen sich 61 Prozent dafür und 29 Prozent dagegen aus. In der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey vom Februar 2023 lag die Zustimmungsrate bei 58 Prozent.
“Nicht gegen die eigenen Leute kämpfen”
In Lettland gibt es aber auch einen Teil der Bevölkerung, der mit dem Militärdienst hadert. So stehen einige Angehörige der russischsprachigen Minderheit des Landes dem prowestlichen Kurs des Landes eher skeptisch gegenüber.
So auch Maksym, 18 Jahre alt, der im Skatepark in Riga gerade seine Fahrt mit dem Tretroller unterbricht. Er gehört zur russischsprachigen Minderheit Lettlands. “In diese Armee will ich definitiv nicht”, sagt er. Eigentlich plant er gerade etwas ganz anderes: Er will nach Russland auswandern und in Sankt Petersburg Musiker werden. Dort gefalle ihm das Leben besser als in Lettland.
“Hier werden wir unterdrückt”, sagt er. Er fühle sich diskriminiert, weil er die Landessprache nicht spreche. “Lettisch passt irgendwie nicht zu mir”, meint er. In die lettische Armee zu gehen, um “gegen die eigenen Leute zu kämpfen”, will er nicht. Also will er weg. Dass Russland Krieg in der Ukraine führt, stört ihn nicht.
Doch so denken nicht alle Russischsprachigen in Lettland. “Wenn sie mich einberufen, dann ist es halt so, dann gehe ich hin. Ich lebe gerne hier”, sagt ein anderer junger Mann, der auch zur russischen Minderheit gehört, die etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmacht.
Alternativ zur Wehrpflicht wird in Lettland Zivildienst in Militäreinrichtungen erlaubt. Aber die Armee will auch Skeptiker einbinden. “Wir hoffen, dass die Ausbilder sie davon überzeugen können, dass sie neue Fähigkeiten und neue Erfahrungen erwerben werden”, so Forschungsdirektor Rostoks.
Quella: Deutsche Welle